Interview als Expertin für Stress in der Themenwoche „Psychische Gesundheit“ HOCHTIEF Aktiengesellschaft


Interview als Expertin für Stress in der Themenwoche „Psychische Gesundheit“ HOCHTIEF Aktiengesellschaft

Nach meinem Impulsvortrag bei HOCHTIEF zum Thema Stressmanagement wurde ich auch für die Intranet-Themenwoche „Psychische Gesundheit“ als Expertin zum Thema Stress interviewt. 

Fit for work + Fit for life: Wie ist das mit dem Stress, Frau Jansen-Preilowski?

Lange und intensive Stressphasen können eine mögliche Ursache für psychische Störungen sein. Somit stellt sich die Frage: Wie kann ich Stress verhindern und wie kann ich lernen, besser mit ihm umzugehen? Indoor fragte nach bei Virgilia Jansen-Preilowski. Die Kölnerin ist Psychologin, Coach und der Stress-Experte der Themenwoche.

Frau Jansen-Preilowski, in Stresssituationen arbeiten viele Menschen am produktivsten. Wo ist denn eigentlich das Problem?

Das Problem entsteht, wenn die Dosis nicht mehr stimmt. „Unter Strom“ kann man für einen bestimmten Zeitraum vielleicht effektiver arbeiten. Ein Dauerzustand darf das aber nicht werden. Dann lassen die Produktivität und die Effektivität rasch nach.

Ok, das mag meinem Chef nicht gefallen, aber ist das gesundheitlich gefährlich?

Es fängt mit Kleinigkeiten an: Durch einen zu hohen Stresspegel wird man gereizter, wird vergesslich, macht Fehler. Dann zweifelt man an sich selbst. Und man versucht, noch mehr zu geben. Wenn man es nicht schafft, aus diesem Kreislauf auszubrechen, drohen Gefahren wie Burn-out, Depressionen oder andere körperliche und psychische Erkrankungen. Ich kenne einen Fall, da hat sich eine 50-jährige Frau auf Demenz untersuchen lassen. Ursache für ihre Vergesslichkeit war aber der zu hohe Stresspegel. Sie konnte dann entsprechend reagieren.

In manchen Situationen fühle ich mich gestresst, mein Kollege hingegen ist – in der gleichen Situation – die Ruhe selbst. Warum reagieren Menschen so unterschiedlich?

Das ist zum einen eine Sache der Veranlagung. Bei manchen Personen ist das Gefühl „Ich kann und werde das bewältigen“ ausgeprägter als bei anderen. Aber es hat auch mit den Vorerfahrungen zu tun: Wenn ich schon erlebt habe, dass ich eine ähnliche Situation gemeistert habe, werde ich vor der aktuellen Aufgabe keine Angst haben. Ist früher etwas schiefgegangen, gerate ich vielleicht jetzt eher in eine Stresssituation. Entscheidend sind aber auch die Anforderungen, die ich an mich selbst stelle und die von außen an mich gestellt werden. Immer wenn ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen und meinen Ressourcen entsteht und die Anforderungen sehr hoch sind, kommt es zu einer Stressreaktion. Das ist bei jedem Menschen unterschiedlich und subjektiv.

Ein Perfektionist ist also eher gestresst als andere?

Das kann man so nicht sagen. Für den Perfektionisten ist der Antreiber „Sei perfekt!“ Andere Menschen haben andere Antreiber: „Beeil dich!“, Mach es allen Recht!“, „Sei stark!“, oder „Streng dich an!“. Wer Stress bewältigen will, sollte sich daher zunächst selbst analysieren und fragen: Welcher Stresstyp bin ich und was sind meine Antreiber? Was sind die Normen, die ich an mich selber stelle?

Vermutlich weiß der Perfektionist schon, dass er ein Perfektionist ist. Was kann er dann tun, um mit Stress besser umzugehen?

Er muss sich bewusst dafür entscheiden, bei unwichtigen Aufgaben nicht 120 Prozent zu geben, sondern wir sagen einmal 80 Prozent. Wir sprechen in der Psychologie von „Erlaubern“. Er muss sich also konkret erlauben, entgegen seinem Antreiber zu agieren. Ein anderes Beispiel: Der Mensch, den eher „Mache es allen Recht“ antreibt, muss lernen, dass man es nie allen recht machen kann. Das ist schlichtweg nicht möglich. Und er muss lernen, auch einmal „nein“ zu sagen und seine eigenen Bedürfnisse ernster zu nehmen.

Na, wenn das mal der Chef „erlaubt“….

Es geht darum, die innere Einstellung zu reflektieren und sich sozusagen selbst kennenzulernen, mit dem Ziel, auf lange Sicht die Leistungsfähigkeit und Produktivität zu erhalten – und das wird auch der Chef wollen. Es geht nicht darum, grundsätzlich alle Aufgaben nicht oder schlecht zu erledigen, sondern auf Dauer gesund zu bleiben.

Also wieder eine Sache der Dosis?

Ja, denn generell sind meine Antreiber ja nicht nur negativ – sie haben auch Vorteile. Sie ermöglichen mir es, eine Aufgabe gewissenhaft, gut oder schnell zu erledigen. Wenn ich alle Antreiber und äußere Anforderungen „ausschalte“, bin ich später unterfordert. Und auch das kann genauso zu psychischen Störungen führen. Ganz gleich, ob Über- oder Unterforderung – problematisch wird es immer, wenn es zu extrem wird. Und das über einen längeren Zeitraum.

Seine Antreiber finden, Normen erkennen, sich selbst analysieren. Das hört sich nach einer Menge Arbeit an – und ich habe doch schon so viel Stress. Tun es nicht auch ein paar Entspannungsübungen?

Das wäre ungefähr so, als wenn Sie bei körperlichen Beschwerden immer nur Schmerzmedikamente nehmen würden. Dann reduzieren Sie vielleicht Symptome, aber so wird an der Ursache ja nichts geändert. Wenn Sie also Ihr Stressempfinden vermindern möchten, sollten Sie zunächst versuchen, etwas an der Situation zu verändern, die den Stress auslöst. Ist dies nicht möglich, sollten Sie sich mit Ihrer inneren Haltung beschäftigen und andere Bewältigungsstrategien finden. Entspannungsübungen sind ergänzend gut, aber der Stress wird trotzdem wiederkommen, sofern Sie sonst nichts verändern.

Welche drei Tipps geben Sie den HOCHTIEF-Mitarbeitern zum Umgang mit Stress?

Erstens: Sie sollten herausfinden, wie sie mit Stress umgehen und was mögliche Ursachen sind. Zweitens: Sie sollten mehr im „Hier und jetzt“ leben. Natürlich ist es wichtig, Vergangenes zu reflektieren und an die Zukunft zu denken. Fühle ich mich jedoch dadurch gestresst und liege ich häufig abends im Bett wach aufgrund meiner Gedankenspiralen, sollte ich üben, mich mehr auf das Jetzt zu konzentrieren. Und: Wir machen heute sehr viel parallel. Wenn ich esse, esse ich – muss ich da gleichzeitig noch aufs Smartphone schauen? Multiple Tasking wirkt in dem Fall Stress-verstärkend. Und drittens: Sie sollten sich gelegentlich etwas Gutes tun, etwas, das Ihnen Spaß macht. So laden Sie Ihre Batterien wieder auf!

Vielen Dank.